Der harte natürliche Lebenskampf unserer Vögel im Winter und die anhaltende Verschlechterung ihrer Lebensgrundlagen wecken natürlich das Mitleid vieler Vogelfreunde. Wenn das Wetter ungemütlich wird, regt sich plötzlich das Gewissen, das vielleicht das ganze übrige Jahr über geschwiegen hat. Oft genug ist jetzt zu beobachten, daß in Unkenntnis der Zusammenhänge und ohne jede Planung Vogelfutter in unglaublichen Mengen ausgestreut wird. In der Bundesrepublik Deutschland z. B. füttern 51% der Bürger die Vögel gelegentlich, 28% sogar regelmäßig [15]. Sie bescheren zusammen mit Kommunen und Artenschutzorganisationen der Industrie alljährlich Umsätze von über 100 Millionen DM [14], von denen die Vertreter des staatlichen, Landes- und kommunalen Naturschutzes (wenn er denn diesen Namen verdient) meist nur träumen können. Daher wird auch angesichts der guten Anpassung der Vögel an die Winterzeit immer wieder die Frage diskutiert, ob man nicht auf die Fütterung besser verzichtet und sein überzähliges Geld den großen privaten Naturschutzverbänden spenden sollte, die unter großem persönlichen und finanziellen Aufwand bemüht sind, geeignete Lebensräume (Biotope) zu erhalten, zu schützen und neu zu schaffen.
Die Vorbehalte gegen die Winterfütterung sollen deshalb noch einmal kontrovers diskutiert werden (siehe Diskussion »Pro & Kontra«).
Die Diskussion macht zunächst einmal klar, daß man diese Streitfrage nicht emotional entscheiden sollte; die vielen wohlüberlegten Gründe für oder gegen eine Winterfütterung verlangen ein wohlüberlegtes Handeln des Vogelfreundes. Weiterhin wird klar, daß es nicht das eine überragende Argument gegen und auch (oder erst recht) nicht für die Winterfütterung gibt; das Problem ist einfach zu vielschichtig, und die Situation unserer Umwelt wie die bisherige Praxis der Fütterung stimmen gleichermaßen skeptisch.
Man könnte die Diskussion sogar noch um einige Aspekte erweitern, die der Autor aber bewußt nicht in die Diskussion einbezogen hat, weil sie für die Meinungsbildung untauglich sind nämlich die pädagogischen, sozialen und medizinischen (psychosomatischen) Aspekte [8, 15, 19, 20]: Die Winterfütterung ist zweifellos für Kinder und Jugendliche lehrreich, sie vermittelt Wissen und Einsichten, den (hoffentlich) richtigen Umgang mit und die erforderliche Zuneigung zur Natur und ihren Geschöpfen; gerade älteren Menschen gibt die Beobachtung und Fütterung von Vögeln die Möglichkeit einer täglichen Beschäftigung und des sozialen Kontakts; kranken Menschen vermittelt sie Lebensfreude und fördert so ihre Genesung. All diese anerkennenswerten Motive sollte man jedoch nie gegen sachliche Vorbehalte gegen eine Fütterung abwägen; sie sollten nur dann eine Rolle spielen, wenn man sich bereits aus sachlichen Erwägungen für eine Winterfütterung entschieden hat.
Die größte deutsche Herstellerin von Nisthilfen und Fütterungsgeräten, die Firma Schwegler in Schorndorf, stellt in ihrem Verkaufskatalog fast geschäftsschädigend, aber umso ehrlicher fest: "Um es kurz zu machen: Wildbiologisch ist die Winterfütterung nicht nötig, um einer Art zu helfen; der Winter ist ein Auswahlverfahren, bei dem der Stärkere überlebt und der Schwächere stirbt. So hart ist die Natur zu sich selbst." Die Firma empfiehlt ihre Geräte vielmehr ausdrücklich nur zu pädagogischen und therapeutischen Zwecken.
Der Autor selbst zieht aus der Diskussion folgendes Fazit: Winterfütterung ist nur sinnvoll, wenn man
Gerade diese letzte Forderung hat es in sich: Jeder vermag verstandesmäßig einzusehen, daß es letztlich keinen Sinn hat, einen Teil unserer Vogelwelt dauerhaft an den "Tropf" der Winterfütterung zu hängen und dabei zuzusehen, wie der andere Teil und die natürlichen Lebensgrundlagen aller Vögel vernichtet werden. Winterfütterung ist isolierter Artenschutz, und Artenschutz allein ist noch kein Naturschutz, der sich bekanntlich auf die Lebensräume (Biotope bzw. Habitate) der Arten bezieht. Wirklich helfen kann eigentlich nur der Vogelfreund, der bereit ist, Freizeit und Geld zu opfern und im Naturschutz (und das kann auch heißen: politisch) aktiv zu werden. Erst so wird Winterfütterung sinnvoll.
Andererseits scheuen aber viele Vogel- und Naturfreunde gefühlsmäßig ein öffentliches Engagement. Die Winterfütterung ist ja deshalb so beliebt, weil sie im privaten Bereich stattfinden kann und weil man den (kurzfristigen) Erfolg seiner Hilfe unmittelbar erlebt. Man füttert vielleicht "sein" ganz "persönliches" Rotkehlchen oder Amselpaar, an dessen Wohlergehen man persönlich Anteil nimmt; man wählt persönlich Futter und Fütterungsgerät aus und füttert ganz nach persönlichem Gutdünken, ohne damit eine öffentliche Verpflichtung einzugehen und ohne daß jemand einem hineinredet.
Biotopschutz ist vielen Bürgern leider zu abstrakt, zu mittelbar, zu langfristig. Hier ist ein Umdenken vonnöten, zu dem diese Zeilen vielleicht einen Beitrag leisten. Aber auch im privaten Bereich kann der Natur- bzw. Biotopschutz beginnen, wenn der Vogelfreund sich entschließt, sein Grundstück in einen »Ökogarten« zu verwandeln, der seinen gefiederten Freunden ganzjährig Brutplätze, Deckung und Nahrung bietet. Die unter [5] und [24] genannten Schriften der Literaturliste sind nur stellvertretend für viele andere aufgeführt, die heute auf dem Markt sind.
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Pro & Kontra |