Säugetier-Nachrichten
Jäger trotz Wolf-Abschuß freigesprochen (2019–2023/02)
Der Wolf ist in Deutschland durch das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) streng geschützt – auf dem Papier. Nach Angaben des Landesamtes für Umwelt (LfU) in Brandenburg wurden in den vergangenen zehn Jahren dennoch 27 Wölfe illegal getötet, 2022 allein fünf. Die Behörden in Deutschland sind in der Regel nicht fähig, die Täter zu ermitteln.
Im Frühjahr 2019 allerdings erschoß ein Jäger aus den Niederlanden in Rädigke (Landkreis Potsdam-Mittelmark bei Berlin) einen Wolf während einer Drückjagd. Die Staatsanwaltschaft Potsdam beantragte deshalb, den Mann zu einer Geldstrafe von 14.000 € zu verurteilen; die Verteidigung aber beantragte Freispruch. Nach Angaben des Deutschen Jagdverbandes (DJV) war es der erste Fall dieser Art in Deutschland, der vor Gericht landete. ()
Der Richter sprach den Schützen "im Zweifel für den Angeklagten" auch in 2. Instanz frei. In dem Gebiet, in dem schon zuvor Wölfe gesichtet worden seien, habe es zwischen mindestens sechs Jagdhunden und dem Wolf eine "Auseinandersetzung" gegeben, einer der Hunde sei vom Wolf "weggeschleudert" worden. Der Angeklagte habe zunächst versucht, den Wolf durch Klatschen, Rufen und einen Warnschuß zu verscheuchen. "Dann hat sich der Angeklagte entschlossen, die Hunde zu schützen, den Wolf gezielt zu erschießen." Der Jäger wird in der Presse mit der Aussage zitiert: "Ich habe das allerbeste für die Tiere getan." Ein Tierarzt habe später bei einem der Hunde Verletzungen festgestellt, die von einem größeren Hund oder einem Wolf stammten.
Kommentar: Der Tatbestand, mit dem sich der Artenschutz offenbar aushebeln läßt, wird in der Presse am 21.2.2023 als "Notwehr" zitiert. Das aber kann nicht stimmen, da der Jäger selbst ja nicht angegriffen und in seiner körperlichen Unversehrtheit nicht gefährdet war; mithin käme nur Nothilfe für seine Hunde in Frage, die er nach eigener Aussage schützen wollte. Eine Notwehrlage liegt bei einem gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff auf ein rechtlich geschütztes Interesse vor. Welches "rechtlich geschützte Interesse" war hier in Gefahr?
- Auch ohne tiefgreifende ethologische Kenntnisse über Karnivoren im allgemeinen und Wölfe im besonderen kann und muß man feststellen, daß im vorliegenden Fall nicht der Wolf auf Hundejagd gegangen war, sondern der Jäger mit einer mindestens sechsköpfigen Hundemeute auf die Drückjagd nach (hoffentlich nur) Schalenwild; nicht ein Wolf ist in einen menschlichen Besitz eingedrungen, sondern umgekehrt ein Mensch in ein (bekanntes) Wolfsrevier. Wenn der Jäger das nicht wußte, ist dies nicht dem Wolf anzulasten.
- Hätte der Wolf einen Hund erbeuten wollen, so hätte er dies vorzugsweise im Rudel versucht, auf keinen Fall aber gegen eine vielköpfige Hundemeute: Beutegreifer konzentrieren sich auf ein geeignetes (schwaches, langsames, isoliertes) Individuum, verfolgen und töten es. Wäre der Wolf auf der Jagd gewesen, hätte er diese allerspätestens als Reaktion auf den Warnschuß abgebrochen. Nicht der Wolf hat also die Hunde angegriffen, vielmehr haben die Jagdhunde den Wolf so aufgespürt und attackiert, wie sie es während einer Drückjagd üblicherweise z. B. mit Wildschweinen tun; aus mangelnder Erfahrung mit ihrem wilden Vorfahren hat sich dabei einer der Angreifer eine (wohlverdiente) Bißwunde zugezogen. Ob die Jagdhunde – wie zu vermuten – aus eigenem Antrieb die "Auseinandersetzung" suchten oder von ihrem Besitzer dazu aufgefordert wurden, sollte für die artenschutzrechtliche Bewertung keine Rolle spielen: Die Verantwortung liegt beim Hundeführer, Wilderei ist auch mit Jagdhunden möglich ... und verboten.
- Relevant dürfte eher sein, ob (bzw. warum nicht) der Jäger versucht hat, seine Jagdhunde zurückzurufen, also daran zu hindern, eine geschützte Tierart weiter rechtswidrig zu bedrängen. Das Klatschen und Rufen und der Warnschuß galten jedenfalls ausschließlich dem Wolf, dem vermeintlichen Übeltäter; sein Schutzstatus gemäß BNatSchG interessierte den Jäger offensichtlich ebensowenig wie mögliche Verletzungen durch seine Jagdhunde.
- Die Aussage des Jägers, "Ich habe das allerbeste für die Tiere getan", soll eine Nothilfe für in Not geratene Kreaturen vortäuschen; "das allerbeste" aber hat der Jäger nicht wirklich für eine notleidende Hundemeute getan, sondern schlicht für sein Eigentum, und nur darum geht es: Ist im Konflikt zwischen Artenschutz und Eigentum ersteres oder letzteres höher zu bewerten? Wenn das Eigentum ein Pony ist und dieses von einem Wolfsrudel gerissen wird, fällt es nicht schwer, aus dem allgemeinen Mitgefühl für solch ein liebgewonnenes "Familienmitglied" Nutzen zu schlagen und den Abschuß der "Bestie(n)" zu fordern. Offenbar funktioniert dieser Trick auch mit Jagdhunden – und sogar bei deutschen Richtern.
- Aus Sicht des Artenschutzes wie auch der Jägerschaft präsentiert sich hier ein Präzedenzfall, an dem sich künftig Jäger werden orientieren können: Offenbar reicht es, eine Gefährdung seines Eigentums geltend zu machen, um eine geschützte Tierart wie den Wolf zu töten. Wenn des Weidmanns Hunde einen Wolf aufspüren, sind nicht etwa sie selbst die Aggressoren: Das "Problem" ist der Wolf, der nicht flieht; sobald er zurückbeißt, darf er abgeschossen werden. Heimliches Abschießen ist gar nicht nötig, um seine Interessen durchzusetzen.
- Was wäre wohl geschehen, wenn ein anderer, ökologisch bewußter und gesetzestreuer Jäger zwei oder drei der Jagdhunde abgeschossen hätte, um eine auf dem Papier geschützte Tierart auch in der Praxis vor Nachstellung und Verletzung zu schützen? Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) bestimmt in § 44: "Es ist verboten, 1. wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören [..]".
Der Goldschakal (Canis aureus) ist 2020 in NRW
Der Goldschakal (Canis aureus) ist in Asien bis Ost-, Süd- und Mitteleuropa verbreitet, aber in Deutschland so gut wie unbekannt. Dieser eng mit dem Wolf verwandte Schakal ist zwar oft – wie sein wissenschaftlicher und deutscher Name anzeigt – goldgelb, manche Exemplare aber gräulich gefärbt, er wird bis 50 cm hoch und knapp 1 m lang und ist als Nahrungsopportunist sehr anpassungsfähig. Außer in seinen ursprünglichen Lebensräume – offenen Landschaften wie Savannen und Halbwüsten – kommt er offenbar auch der europäischen Agrarlandschaft, Feuchtgebieten etc. zurecht: Schon seit etwa 1987 ist seine Anwesenheit in Österreich bekannt, seit 1998 in Deutschland, seit 2011 in der Schweiz. Mittlerweile wurden auch Jungtiere und in den letzten Jahren (2015–2022) Vorkommen in Skandinavien dokumentiert.
Im August 2020 wurde erstmals in Nordrhein-Westfalen (Mülheim an der Ruhr) ein Goldschakal nachgewiesen; das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) bestätigte den Erstnachweis eines Männchens am 31.10.2020. Drei am 17. & 18. August tot aufgefundene Schafe wurden diesem Schakal mit hoher Wahrscheinlichkeit zugeschrieben, auch aufgrund einer DNA-Analyse. Die weitere Ausbreitung der Art hängt u. a. von der Bestandsentwicklung des Wolfs ab: Dieser ist dem Goldschakal deutlich überlegen und jagt und verdrängt ihn. Umgekehrt schlägt Canis aureus zum Teil dieselbe Beute wie der Rotfuchs (Vulpes vulpes) und kann diesen so verdrängen und auch erbeuten.
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