Daß es unseren Amphibien schlecht geht, weiß jeder Mensch, der sich an eine unbeschwerte Kindheit am Stadtrand oder gar auf dem Land erinnern kann: Kaulquappen, Molche, Wasserfrösche und Unken in Tümpeln und Teichen, Gräben und Altarmen waren so normal wie die Braunfrösche und Kröten in Garten und Wald. Für viele Menschen ist das nur ferne Erinnerung, die sich auch nicht mehr so leicht während einer Wanderung in Wald und Flur auffrischen läßt: Die aus der Kindheit bekannten Biotope sind längst verschwunden, und das nicht nur in der eigenen Region, im eigenen Bundesland, sondern deutschlandweit, europaweit, weltweit. Biologen beobachten seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts einen erschreckenden Rückgang der Amphibienpopulationen:
- 34 Amphibienarten sind bereits ausgestorben, weitere 134 wurden seit vielen Jahren nicht mehr gefunden, gelten also als verschollen, was in der Regel ebenfalls Aussterben bedeutet.
- Von den rund 6000 bisher beschriebenen Amphibienarten gelten ca. 1900 als vom Aussterben bedroht: fast jede dritte.
- Über viele der anderen Arten – ihre Biologie und ihren Gefährdungsstatus – ist kaum etwas bekannt: Sie könnten aussterben, bevor sie erforscht wurden und ihre Bedrohung erkannt wurde.
- Über ca. 1400 Lurcharten wissen Forscher kaum mehr, als daß es sie gibt; sie vermuten deshalb, daß zahlreiche weitere Amphibien noch unentdeckt sind und unentdeckt aussterben.
- Selbst die Bestände solcher Arten, die bislang nicht als bedroht gelten, sinken dramatisch: In Mittelamerika sind bereits 52 Prozent der Lurchspezies in Gefahr, in der Karibik gar 82 Prozent.
- Nach einer realistischen Schätzung könnten deshalb 50 Prozent dieser Tierklasse in naher Zukunft aussterben. Amphibienforscher rechnen mit mindestens zehn ausgestorbenen Arten pro Jahr.
1. Umweltzerstörung
Für den Rückgang unserer Amphibien sind in erster Linie massive Zerstörungen ihrer Lebensräume verantwortlich zu machen:
- Durch Flüsse (wandernde Flußbetten, Überschwemmungen) und Windbruch sich wandelnde, also dynamische Landschaften gibt es kaum noch: Flüsse werden reguliert, Lebensräume in den ersten Sukzessionsstadien kaum geduldet, fast alle Naturräume werden einer bestimmten Nutzung unterworfen und deshalb mehr oder weniger statisch konserviert: Nutzwälder, Felder, Weiden, (befestigte) Wege und Straßen, Naherholungs- & Sportflächen, Siedlungen etc.
- Ersatzbiotope in den ersten Sukzessionsstadien wie Brachen und Baustellen sind selten und werden schnell wieder beseitigt, etwa durch die Befestigung von Waldwegen oder "Rekultivierung" (Mutterbodenauftrag & Bepflanzung), die sich mehr am menschlichen Ordnungs- und Schönheitssinn orientiert als an ökologischen Notwendigkeiten.
- Die "moderne", auf Gewinnmaximierung ausgerichtete industrielle Landwirtschaft bietet Amphibien keine Habitate mehr: auf immer größeren, unstrukturierten Produktionseinheiten finden sie weder Laichgewässer noch Landverstecke noch Nahrung.
- Feuchtgebiete und Kleingewässer werden immer noch trockengelegt bzw. mit Erdreich oder Schutt verfüllt, um landwirtschaftliche Fläche oder Bauland zu gewinnen, um eine Gefahr für spielende Kinder zu beseitigen, um eine vermeintliche Mückenplage zu bekämpfen – oder einfach nur, um Bauschutt zu "entsorgen".
- Waldgebiete sind als Lebensraum für Amphibien um so wertvoller, je naturnäher oder weniger sie bewirtschaftet werden – die Umorientierung der Forstwirtschaft weg von Monokulturen hin zu gesunden Mischwäldern dient also auch dem Amphibienschutz. Andererseits werden auch Wälder immer mehr von Straßen und (befestigten) Forstwegen zerschnitten: Zwar erschließen diese dem Menschen ein Waldgebiet, für Amphibien aber sind sie Barrieren, die Teillebensräume (Landhabitate und Laichgewässer) voneinander trennen und isolieren und besonders bei mobilen Arten hohe Verluste durch den motorisierten Verkehr verursachen. Bei Arten (z. B. Feuersalamandern), die über viele Wochen, dann aber jeweils in nur geringer Anzahl wandern, werden die hohen Opferzahlen kaum bemerkt; am auffälligsten sind große Mengen plattgefahrener Erdkröten. Breite Straßen können übrigens bereits ohne Verkehr zur Todesfalle werden, wenn sie warm und trocken sind und vor allem Jungtiere auf ihnen austrocknen, festkleben und verenden.
- Siedlungsränder sind ebenfalls keine geeigneten Lebensräume mehr: Wälder und Felder stoßen unmittelbar an Mauern, "gepflegten" Rasen, moderne Sportanlagen, befestigte, befahrene Wege und breite Straßen; Gräben und Tümpel sind längst zugeschüttet, Ruderalflächen als "Schandflecken" begrünt oder überbaut.
- Die Versauerung und Vergiftung von Gewässern durch Luftverschmutzung und das Einschwemmen von Dünger & Pestiziden schädigt und vernichtet schon die Larven der Amphibien.
- Die künstliche Besiedelung von Gewässern mit Fischen und die Reduzierung der Wasservegetation durch Angelsportvereine führt zu einer starken Prädation und letztlich Ausrottung vieler Lurcharten: Deren Laich und Larven (Kaulquappen) werden von Fischen auch dort gefressen, wo Fische oder bestimmte Fischarten natürlicherweise nicht vorkommen. Nur die Kaulquappen der Erdkröte (Bufo bufo) scheinen aufgrund ihresSchwarmverhaltens, ihres bitteren Geschmacks sowie eines krötenspezifischen Gifts (des Bufotoxins) von manchen Fischen verschmäht zu werden.
2. Klimawandel
Warum sollten Amphibien unter der Klimaerwärmung leiden? Verbessern sich denn durch mildere Winter nicht ihre Chancen, den Winterschlaf zu überstehen? Die mit Abstand meisten Lurcharten kommen in wärmeren Regionen unseres Planeten vor, vor allem in den Tropen, also müßte es doch unseren Arten auch besser gehen. Und wenn eine Art auf kühleres Klima angewiesen ist, dann kann sie sich doch im kühlen Norden besser ausbreiten. Biologen wissen es leider besser:
- Durch die für die nächsten Jahrzehnte erwarteten höheren Temperaturen werden viele Lebensräume verschwinden, aber nicht neu entstehen: Die Iberische Halbinsel etwa ist im Norden durch ein Meer und ein Gebirge begrenzt, was eine Verschiebung von Verbreitungsräumen nach Norden verhindert, und die menschliche Siedlungsweise sorgt für weitere Barrieren.
- Höhere Temperaturen bedeuten gerade in Südeuropa auch mehr Trockenheit, die Amphibien wie der in Portugal, Spanien und Südfrankreich lebende Messerfuß (Pelobates cultripes) nur in isolierten Refugien überleben können. Solche existieren aber kaum noch und werden weiter vernichtet.
- Trockene Frühjahre, denen verregnete Sommer folgen, entziehen unseren Amphibienarten sowohl die Laichgewässer als auch die Wärme, die ihre Larven für ihre Entwicklung brauchen.
- Einige Arten sind ein ein feuchtkühles Klima angepaßt; der Alpensalamander ist ein gutes Beispiel dafür. Wärmere Winter werden sogar für unsere noch häufige Erdkröte zu einem Problem. Die Tiere fallen nicht mehr in ihre Winterruhe, vielmehr arbeitet ihr Stoffwechsel weiter und verbraucht alle Reserven, die aber mangels Beute nicht ersetzt werden können.
- Die Zerstörung der Ozonschicht gefährdet natürlich nicht nur den Menschen, sondern auch Amphibien.
3. Jagd
Die Jagd auf Frösche, um sie zu essen, spielt in Europa kaum noch eine Rolle – es gibt sie ja auch nicht mehr in "lohnenden" Mengen. Aus demselben Grund werden Frösche und Kröten kaum noch gequält. Eine gewisse Nachfrage nach Froschschenkeln gibt es aber immer noch, was dazu führt, daß in einigen Entwicklungsländern Frösche für europäische "Feinschmecker" gefangen und exportiert werden. Die Folge ist natürlich eine dramatische Zunahme der Schadinsekten, gegen die dann massiv Pestizide eingesetzt werden, und die stammen wieder aus Europa.
Fremdländische Froscharten sind auch durch das Bestreben von Amphibien-"Liebhabern" betroffen und bedroht, ihre Terrarien bzw. Palludarien mit farbenfrohen oder gar giftigen Exoten (Pfeilgiftfröschen) zu schmücken. Die zunehmende Erschließung bislang undurchdringlicher Urwälder macht es Sammlern immer leichter, die Bestände gerade von Arten mit sehr geringer Fortpflanzungsrate zu plündern, um die europäische und amerikanische Nachfrage nach etwas "Urwald im Wohnzimmer" zu decken. Von den geschmuggelten Tieren wird nur ein Teil entdeckt, und dieser ist aufgrund der Transportbedingungen dann oft genug schon tot.
4. Krankheiten
Die seit Urzeiten auf unserem Planeten lebende Klasse der Amphibien ist auch durch Krankheiten gefährdet. Eine Krankheit scheint besonders großen Anteil am massenhaften weltweiten Amphibiensterben zu haben: die Chytridiomykose, eine Infektionskrankheit, die durch einen im Wasser lebenden Hautpilz bzw. Töpfchenpilz, Batrachochytrium dendrobatidis, hervorgerufen und besonders Tiere befällt, die durch Streß (Klimaänderungen, Einengung des Lebensraums, Gifte, Nahrungsmangel) geschwächt sind. Der Pilz befällt die Keratinschichten der Haut und beeinflußt so vermutlich den Gas-, Flüssigkeits- und Mineralstoffwechsel: Die Haut verändert sich, wird häufig milchig und stumpf. Befallene Amphibien sind lethargisch, fressen nicht mehr, sitzen lange im Wasser und häuten sich oft, bevor sie schließlich sterben.
Biologen aus Berlin und Brandenburg wollen in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Forschungsprojekt herausfinden, wo der Pilz Batrachochytrium dendrobatidis verbreitet ist und welche Rolle er beim Rückgang der einheimischen Amphibien spielt. Privatleute können diese Forschung unterstützen: Wer ungewöhnlich viele tote Amphibien ohne erkennbare Todesursache findet, kann dies an Tosten Ohst vom Museum für Naturkunde Berlin melden: eMail: torsten.ohst@museum.hu-berlin.de.
5. Neozoon: der Amerikanische Ochsenfrosch
Gefährdet sind unsere Lurche auch durch Neozoen: Neubürger, die durch den Menschen eingeschleppt wurden und die heimische Fauna (und Flora) schädigen. Einer dieser Fremdlinge ist der nordamerikanische Ochsenfrosch (Rana catesbeiana). Der aus dem Osten der USA stammende Riesenfrosch wurde im Westen des Landes ebenso angesiedelt wie in Europa (einschließlich Großbritanniens), Japan und Australien. "Tierfreunde" setzten ihn im eigenen Gartenteich aus, und von hier war es nur noch ein Hüpfer in die Natur. Dort richten die Amerikaner mittlerweile gleich doppelten Schaden an:
- Die ohne Beine bis 20 cm großen Ochsenfrösche verschlingen praktisch alles, was kleiner ist als sie selbst: Betroffen sind vor allem Insekten und Schnecken, außerdem andere Amphibien, Egel & Schnecken, Würmer & Spinnen, Fische, Reptilien (Eidechsen & Schlangen), Säugetiere (Mäuse & Spitzmäuse) und Vogelküken. In einem vom Ochsenfrosch besiedelten Gewässer haben einheimische Arten "schlechte Karten". Wie effektiv und gefährlich ein solcher Räuber sein kann, zeigt das Beispiel der Aga-Kröte in Australien.
- Außerdem haben, wie das Wissenschaftsmagazin Biology Letters berichtet, Biologen der Zoological Society of London in Ochsenfröschen die Pilzsporen von Batrachochytrium dendrobatidis entdeckt – von dem Chytrid-Pilz also, der für das weltweite Massensterben vieler Froschlurche verantwortlich gemacht wird. Durch die zunehmende Verbreitung der Chytridiomykose könnte der Ochsenfrosch noch gefährlicher werden als durch seinen großen Hunger.
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