"Schottergarten"
Gartenfreunde kennen den traditionellen "Steingarten": einen mit Bruchsteinen gestalteten (Hang-)Garten, welcher häufig dem Relief eines Gebirges nachempfunden ist und einer typischen Gebirgsflora und/oder trockenheitliebenden (xerophilen) Pflanzen ein optimales Habitat bietet. Neuerdings wird diese Bezeichnung manchmal leider auch für etwas ganz anderes verwendet, das die Bezeichnung Biotop als 'Lebensort' – so die Übersetzung aus dem Altgriechischen – überhaupt nicht verdient:
Seit der Jahrtausendwende (2000) macht sich im privaten wie öffentlichen Raum, in unseren Vorgärten und auf Verkehrsflächen ein Modetrend breit, der im offensichtlichen Widerspruch zu allen Bemühungen um Umwelt- und Naturschutz steht: die Versiegelung von Grünflächen durch – nicht Asphalt, sondern – Schotter oder Kieselsteine als quasi architektonisches Gestaltungsmittel. Die vormalige Pflanzendecke mußte einer menschlichen "Ästhetik" weichen, ein Nachwachsen des "Unkrauts" wird durch ein Bodenvlies unter den Steinen verhindert; falls der "Schottergarten" überhaupt eine Bepflanzung aufweist, erschöpft sich diese in wenigen Exemplaren meist fremdländischer Pflanzenarten, die es dort zuvor nicht gab. Sie werden je nach Größe in dekorativen Pflanzkübeln oder in Löchern im Bodenvlies präsentiert, um zusammen mit Findlingen und anderen Deko-Artikel (z. B. Leuchtsteinen) eine gewünschte optische Wirkung zu erzielen.
Die typischen Motive für die Anlage eines geschotterten Vorgargens sind bekannt:
- Pflegeleichtigkeit: Wer mit Folie und Kies unerwünschten Pflanzenwuchs ("Unkraut") verhindert, spart sich das nötige regelmäßige Jäten: für berufliche Eingespannte und ältere Gartenbesitzer ein Argument.
- Ordnungssinn: Wer im Inneren seines Heims auf Ästhetik und "Ordnung" Wert legt, möchte auch außerhalb im Vorgarten ein repräsentatives Erscheinungsbild verwirklicht sehen, das vermeintlich zur Architektur seines Heims paßt.
- Fremde Erwartungen: Nicht wenige Menschen lassen sich dabei weniger von eigenen als vielmehr vermuteten fremden Vorstellungen leiten: Was sollen denn die Nachbarn denken? Was mögen Passanten von einem "ungepflegten", gar "verwilderten" Garten halten, in dem das "Unkraut wuchert"? Sind dessen Besitzer etwa zu faul, ihn zu pflegen, für "Ordnung" zu sorgen? (Ob es drinnen wohl so aussieht wie draußen?)
Die genannten Vorteile sind allerdings nur temporär oder subjektiv – dies sind die Nachteile eines Kiesel- bzw. Schottergartens:
- Anmutung: Geschmack ist bekanntlich subjektiv, was manche Menschen für "gestylt", modern, zeitgemäß halten, empfinden andere als naturfeindlich, protzig, überholt, häßlich etc. Den einen vermittelt es Befriedigung, daß ihr geschotterter "Garten" das ganze Jahr gleich aussieht (wenn er nicht gerade unter einer Schneedecke verschwunden ist), die anderen erfreuen sich am jahreszeitlich bedingten Wechsel der Vegetation eines naturnahen Gartens, am frischen Grün, an den Farben der Blüten ...
- Pflegeaufwand: Die angestrebte Pflegeleichtigkeit ist nur von kurzer Dauer: Mag der Pflegeaufwand im ersten Jahr noch gleich Null sein, wenn man über Blütenblätter und Herbstlaub hinwegsehen kann, und sich vielleicht auch im zweiten Jahr auf wenige Kehraktionen mit dem Besen beschränken lassen, so läßt sich spätestens ab dem dritten Jahr mit Hacke & Harke, Heckenschere & Rasenmäher nichts mehr ausrichten: Jetzt hilft nur noch ein starker Laubbläser bzw. -sauger. Staub und Pollen sowie weitere vom Wind verwehte organische Partikel bilden jedoch zwischen und auf den Kieseln und Schottersteinen unweigerlich ein Substrat für Algen, Moos und (zunächst) anspruchslose Unkräuter. Eigentlich müßten jetzt alle Steine zusammengeharkt und gewaschen werden – oder man versucht es zuvor mit einem (teuren) Hochdruckreiniger ...
- Mikroklima: Steinflächen heizen sich wie Asphaltflächen unter Sonneneinstrahlung stark auf und speichern die Wärme bis in den späten Abend. Über trockenen Kieselflächen sinkt zudem die Luftfeuchtigkeit, es entsteht keine Verdunstungskälte. Viele kleine Steinflächen haben ebenso wie wenige große in bebauten Gebieten einen spürbaren Effekt auf das städtische Klima: Die ohnehin hohen innerstädtischen Temperaturen werden noch höher, ein kaum erträglicher Hitzesommer noch unerträglicher. Hinzu kommt der erhöhte Staubanteil in der Luft: Folge der fehlenden Filterwirkung der fehlenden Vegetation.
- Versiegelung: Eine Folie, die jeglichen Aufwuchs durch die Kiesel- bzw. Schotterschicht unterbindet, kann als "wasserdurchlässiges Unkrautvlies" zwar im Prinzip Regenwasser in den Boden durchlassen, im Laufe der Zeit setzt sich ein solches Vlies jedoch mit anorganischen wie organischen Partikeln immer mehr zu, und bei Starkregen nützt auch eine neues Vlies nichts: Ein Teil des Wassers fließt gleich oberflächlich ab, der andere kann vom verdichteten, humusarmen Boden unter dem Vlies nicht aufgenommen werden und fließt ebenfalls auf die Straße und in die Kanäle. Wenn deren Querschnitt zu klein für die Wassermassen ist, gibt's wieder einmal eine Überschwemmung ...
- Ökologie: Auch Laien haben an der ökologischen Wertlosigkeit von "Schottergärten" keinen Zweifel: Leben soll dort erst vernichtet, dann dauerhaft verhindert werden. Selbst an den unwirtlichsten Orten unseres Planeten – Hochgebirgsregionen, Sand- und Steinwüsten – finden Biologen noch Leben: Biofilme, Flechten etc. auf und sogar in Steinen, Würmer, Insekten etc. im Boden. In "Schottergärten" hingegen ist die Abwesenheit von Leben Programm, erneut aufkeimendes Leben wird nur als Dreck wahrgenommen und konsequent bekämpft.
Insekten – Wildbienen, Wespen, Schwebfliegen, Schmetterlingen etc. – braucht man in solchen "Gärten" gar nicht erst zu suchen: Das Potential privater Gärten, wenigstens einen bescheidenen Ausgleich für unsere ausgeräumten, lebensfeindlichen Agrarräume zu schaffen, wird in "Schottergärten" konterkariert. Zwar können Privatgärten gerade den gefährdetsten Insektenarten, nämlich den (stenophagen & stenotopen) Spezialisten unter ihnen, am wenigsten geeignete Habitate und Nahrungsquellen bieten, doch hat auch die Arten- und Individuenzahl der (euryphagen & eurytopen) Generalisten längst dramatisch abgenommen, und für die Nahrungsgrundlage unserer Vogelwelt zählt weniger die Vielfalt der Insektenarten als vielmehr ihre (zu geringe) Masse: Der Krefelder Entomologen-Verein hat in einer weltweit beachteten Studie für den Zeitraum von 1989 bis 2016 einen Rückgang der Fluginsekten-Biomasse von 76 Prozent festgestellt.
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Asphalt, Beton, Platten, "Schottergarten": alles sauber, alles ordentlich? · 18.5.2019 |
Die aus "Schottergärten" resultierenden Probleme sind seit langem bekannt und auch der Politik nicht verborgen geblieben; seit sich der Trend zur "dekorativen Versiegelung" verstärkt und allenthalben im Stadtbild zeigt, versuchen Politiker und Behörden gegenzusteuern: Tatsächlich können Landesbauordnungen ebenso wie Naturschutzgesetze eine Freiflächengestaltung bestimmen (so geschehen in Baden-Württemberg), Bebauungspläne können "Schottergärten" ausschließen, Kommunen können geschotterte Flächen als versiegelt definieren, was die Regenwassergebühr erhöht. Das Problem liegt hier in der Mutlosigkeit, Zögerlichkeit und Trägheit der politischen Akteure: Wenn "Schottergärten" nur für Neu- und Umbauten verboten werden, bleibt der "Altbestand" unangetastet, und "Schotterfreunde" werden versuchen, rechtzeitig vor einem – nach langwierigen Diskussionen – drohenden Verbot Fakten zu schaffen.
Allerdings: So wichtig eine klare, umweltfreundliche gesetzliche Regelung ist, so wenig kann sie alleine die gewünschten naturnahen Vorgärten garantieren: Wer gezwungen wird, seinen Schottergarten zu beseitigen, ist noch längst nicht vom ökologischen Nutzen eines Biotops vor der eigenen Haustür überzeugt; ein "gut gepflegtes" weil kurzgeschorenes Stück Rasen ist zwar für das Mikroklima und Versickern des Regenwassers besser als ein Schottergarten, ökologisch aber ähnlich wertlos. Gefragt sind Überzeugungsarbeit und gute Vorbilder ...
Anfang 2023 hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg einen richtungsweisenden und unanfechtbaren Beschluß gefaßt: Die Bauaufsichtsbehörden in Niedersachsen dürfen anordnen, Schottergärten beseitigen zu lassen. Geklagt hatten die Eigentümer eines Einfamilienhauses aus Diepholz: In ihrem Vorgarten hatten sie zwei Kiesbeete mit einer Fläche von ca. 50 qm angelegt, die aufgrund einiger vereinzelt wachsender Pflanzen "Grünflächen" seien. Die Stadt erließ jedoch gegen die Kiesbeete eine baurechtliche Verfügung wegen Verstoßes gegen die niedersächsische Bauordnung, welche vorschreibt, daß nicht überbaute Grundstücksflächen Grünflächen sein müssen, sofern sie nicht für eine andere Nutzung erforderlich sind. Grünflächen würden "durch naturbelassene oder angelegte, mit Pflanzen bewachsene Flächen geprägt", so das Gericht.
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"Schottergärten": einmal neu, einmal alt: Die schlechte Idee ist nicht neu ... · 06.10.2022 |
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