Nagetiere · Rodentia Bowdich 1821
Die Nagetiere sind in der Klasse der Säugetiere (Mammalia) die artenreichste Ordnung: Die fast 2300 Arten haben alle Kontinente erobert, einige Langschwanzmäuse (Muridae) sogar Australien, obwohl der Fünfte Kontinent eigentlich als das Land der Beuteltiere (Marsupialia) bekannt ist. Die in Mitteleuropa vorkommenden Arten lassen sich taxonomisch vereinfacht (ohne Unterfamilien, Tribus etc.) so darstellen:
Systematik in der Klasse der Säugetiere (Mammalia):
- Ordnung Nagetiere (Rodentia)
- Unterordnung Hörnchenverwandte (Sciuromorpha)
- Familie Bilche bzw. Schläfer (Gliridae)
- Familie Hörnchen (Sciuridae)
- Eichhörnchen (Sciurus vulgaris)
- Gleit- bzw. Flughörnchen (Pteromys volans)
- Alpen-Murmeltier bzw. Mankei (Marmota marmota)
- Ziesel (Spermophilus citellus)
- Sibirisches Streifenhörnchen bzw. Burunduk (Tamias sibiricus)
- Unterordnung Biberverwandte (Castorimorpha)
- Familie Biber (Castoridae)
- Unterordnung Mäuseverwandte (Myomorpha)
- Familie Wühler (Cricetidae)
- Wühlmäuse (Arvicolinae)
- Schermäuse (Arvicola)
- Feldmäuse (Microtus)
- Bisam, Bisamratte (Ondatra)
- Rötelmaus (Myodes)
- Hamster (Cricetinae)
- Familie Langschwanzmäuse (Muridae)
- Waldmäuse (Apodemus)
- Hausmaus (Mus)
- Ratten (Rattus)
- Unterordnung Stachelschweinverwandte (Hystricomorpha)
- Familie Stachelratten (Echimyidae)
(innerhalb der Meerschweinchenverwandten (Caviomorpha))
- Nutria, auch: Biberratte, Coypu (Myocastor coypus)
Nagetiere sind kleine bis mittelgroße Säugetiere: Ihr Gewichte reichen von ca. 5 Gramm bei der Eurasischen Zwergmaus (Micromys minutus) bis an die 90 Kilogramm beim Capybara bzw. Südamerikanischen Wasserschwein (Hydrochoerus hydrochaeris). Das gemeinsame Merkmal aller Nager sind im Ober- und Unterkiefer jeweils zwei verlängerte Nagezähne und die große zahnfreie Lücke (Diastema) zwischen diesen und den Backenzähnen. Die gekrümmten Nagezähne wachsen ein Leben lang, behalten aber durch das lebensnotwendige Benagen harter Nahrung und sonstiger Objekte sowie den Abrieb an den gegenüberliegenden Zähnen in etwa ihre Länge. Da nur ein bis zwei Drittel der Vorderseite der Nagezähne mit Zahnschmelz beschichtet sind, bleibt durch die schnellere Abnutzung der weicheren Hinterseite eine scharfe, meißelförmige Kante stehen. In Anpassung an die oft harte Nahrung werden die Kiefer durch eine starke Kaumuskulatur angetrieben.
Auch das Verdauungssystem der Nagetiere ist gut an harte pflanzliche Nahrung angepaßt: Ihr Blinddarm (Caecum) kann auch Zellulose aufschließen, und viele Arten scheiden vorverdaute Darminhalte (Caecotrophe) aus und fressen sie erneut, um die Verdauung abzuschließen (Caecotrophie). Trotz dieser Anpassung sind einige Arten Allesfresser oder sogar überwiegend Fleischfresser, etwa Wanderratten. Viele Nager, etwa die Mäusegattungen und -arten, sind außerordentlich fruchtbar: Die Weibchen bringen mehrmals im Jahr Nachwuchs zur Welt, was zusammen mit einer kurzen Trächtigkeit und hohen Wurfgröße eine oft riesige Nachkommenschaft generieren kann. Als Überlebensstrategie ist diese angesichts der vielen auf Nager spezialisierten Beutegreifer auch notwendig. Die Neugeborenen dieser Nager sind hilflose, oft unbehaarte Nesthocker; es gibt aber auch Arten mit langer Schwangerschaft, niedriger Wurfgröße und weitentwickelten Jungtieren, die schon nach wenige Stunden laufen können.
Das Verhältnis des Menschen zu den Nagetieren ist sehr unterschiedlich, es reicht von Abscheu und Haß bis zu schwärmerischer Liebe und Verehrung. Hier zunächst die aus menschlicher Sicht negativen Aspekte:
- In dem Maße, in dem die natürlichen Lebensräume von Nagetieren agrarisch genutzt wurden, entstanden riesige Monokulturen, die einige Arten verdrängen konnten, auf andere – vor allem Mäuse, Wühlmäuse und Ratten – aber wie ein Magnet wirkten und wirken. Letztere fordern ihren Anteil am landwirtschaftlichen Ertrag, was der Mensch als "Schäden" verbucht.
- Mäuse und Ratten blieben allerdings nicht auf den Feldern, sondern zogen auch in die Dörfer und Städte des seßhaft gewordenen Menschen, um von seinen Vorräten zu leben. In modernen Industriestaaten ist der Zugriff auf Nahrungsvorräte für Nager zwar schwierig geworden, die Überfluß- und Wegwerfgesellschaft aber bietet ihnen weiterhin eine üppige Nahrungsgrundlage.
- Das Zusammenleben vieler Menschen mit großen Nagerpopulationen begünstigt die Verbreitung durch Bakterien, Viren und Salmonellen und Trichinen ausgelöster Krankheiten. Die im menschlichen Bewußtsein schlimmsten Krankheitserreger, Fleckfieber und Pest, wurden übrigens nicht direkt von Nagern übertragen, sondern von ihren Ektoparasiten: Flöhen.
- Biber fressen zwar keine landwirtschaftlichen Produkte und übertragen keine Krankheitserreger, verfolgen aber ein ganz anderes "Landbewirtschaftungskonzept" als der Mensch. In der Konkurrenz um das Land als Nahrungsgrundlage zieht der Biber allerdings traditionell den kürzeren und muß deshalb gezielt geschützt und gefördert werden.
Die Probleme, die der Mensch vor allem mit Mäusen, Wühlmäusen und Ratten hat, hindert ihn andererseits nicht daran, die Kleinsäuger zu lieben und zu verehren und als Haustiere zu halten oder für die Forschung einzusetzen:
- Ausgerechnet Mäuse avancieren in unserer Medienkultur zu Helden: Jeder kennt aus amerikanischen Comic-Heften und Zeichentrickserien Micky Maus, Tom und Jerry und/oder Speedy Gonzales, und mit der Sendung mit der Maus wurde der kleine Nager gar zur pädagogischen Kultfigur.
- Schon lange bevölkern Goldhamster, (weiße) Mäuse und sogar Ratten die Kinderzimmer: in Käfigen und auf Kinderschultern und oft nicht gerade zur Freude der Eltern.
- Als angeblich unverzichtbare Versuchstiere bevölkern Mäuse und Ratten auch die Labore der medizinischen, chemischen und biologischen Wissenschaft. Immerhin hat das den Respekt für die Ratte als einen Überlebenskünstler befördert, dessen Intelligenz ihn vor der Ausrottung im Siedlungsbereich des Menschen bewahrt hat.
- Nager werden – wie andere Tiergruppen auch – gerne in Metaphern verwendet: Murmeltiere und Siebenschläfer für "Dauerschläfer", Hamster und auch Eichhörnchen für (Nahrungsmittel- oder Brennstoff-) Horter, Biber für fleißige Architekten. Manche Frau hört sich gerne als "süße Maus" angesprochen ...
Literatur:
- Leicht, Walter H. (1988): Tiere der offenen Kulturlandschaft, Teil 2: Feldhamster, Feldmaus. Quelle + Meyer, Wiebelsheim.
- Müller, Jürg Paul & Lea Gredig [Illustration] (2021): Die Mäuse und ihre Verwandten ·
Das verborgene Leben der Insektenfresser und Nagetiere. Haupt Verlag, Bern.
- Niethammer, Jochen & Franz Krapp (Hrsg.) (1978): Handbuch der Säugetiere Europas. Band 1/I: Nagetiere I (Sciuridae, Castoridae, Gliridae, Muridae). Akademische Verlags-Gesellschaft, Wiesbaden.
- Niethammer, Jochen & Franz Krapp (Hrsg.) (1982): Handbuch der Säugetiere Europas. Band 2/I: Nagetiere II (Cricetidae, Arvicolidae, Zapodidae, Spalacidae, Hystricidae, Capromyidae). Akademische Verlags-Gesellschaft, Wiesbaden.
- Weinhold, Ulrich & Anja Kayer (2006): Der Feldhamster: Cricetus cricetus. DIE NEUE BREHM-BÜCHEREI. VerlagsKG Wolf, Magdeburg.
Verweise:
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